»Die stehen jetzt auch für Klimaschutz«

Ist die Linkspartei die einzige, die sich für die »Letzte Generation« einsetzt und was folgt daraus? Vernachlässigen die Klimaaktivistinnen sozialwissenschaftliche Erkenntnisse? Und was hat es mit »Pluralistischer Ignoranz« auf sich?

Ist die LINKE die einzige Partei, die sich für die »Letzte Generation« einsetzt? Annika Leisters Text dreht sich um ein relatives Ja - einerseits solidarisiere sich die Partei im Bundestag, in Gerichtssälen, in Justizvollzugsanstalten. Dies decke sich auch »mit den Zielen der Parteiführung«. Andererseits verweist Parteienforscher Uwe Jun in dem Beitrag darauf, dass es dauern werde, »bis bei den Wählern ankommt: Die stehen jetzt auch für Klimaschutz«.

Da die Partei nicht erst seit gestern über Klimagerechtigkeit und die globale Überlebensfrage spricht, wäre nach Gründen zu fragen, warum man nicht schon bisher weitergekommen ist. Hier geht das andererseits los: In der ökologischen Frage ist sich die Partei alles andere als grün; gerade in der jüngeren Vergangenheit war die Zahl der darum kreisenden Konflikte groß. Parteienforscher Jun: »Teile der Basis – wie der Wagenknecht-Flügel – werden gegen den Klimaschutz als primären Fokus protestieren.«

Dagegen wollen Markus Balser und Boris Herrmann beobachtet haben, dass die Unterstützung der »Letzten Generation« in »der chronisch zerstrittenen Partei eine gewisse Bindungskraft« entfaltet und ihr den »Vorteil« biete, sich »als stärkster Bündnispartner der Klimaschutzbewegung zu positionieren«. In der »Parteizentrale, dem Karl-Liebknecht-Haus, wächst der Glaube daran, endlich wieder ein strategisches Gewinnerthema gefunden zu haben.« Allerdings auch hier das Aber: Einige Wahlforscher würden »glauben, dass die Strategie der Linken auch sie selbst treffen könnte« - weil die Bundesbürgerinnen und Bundesbürger die Klimaproteste des Netzwerks »zu großen Teilen« ablehnen und eine Solidarisierung »mehrheitlich die eigenen Anhänger vor den Kopf« stoße.

Charlotte Bez und Jan Steckel haben die Sache mit dem »vor den Kopf stoßen« etwas ausführlicher ausgeleuchtet und glauben, Aktivisten wie die »Letzte Generation« würden »bei ihren Aktionen Erkenntnisse aus der Sozialwissenschaft« ignorieren. Auch sie verweisen auf Umfragen, nach denen die Aktionsformen mehrheitlich abgelehnt werden. Außerdem machen sie auf mögliche Effekte einer sozial stratifizierten Entfremdung aufmerksam, die auch in Studien sichtbar wir: Klimaschutz, sowohl bestimmte Protestformen, die auf die Dringlichkeit des Umsteuerns aufmerksam machen, als auch praktizierte Transformation in den Gesellschaften, werde in Teilen »als Ausdruck eines problematischen, elitären Denkens ausgelegt«, vor allem »die Arbeiterklasse sowie ethnische Minderheiten« würden sich »von dieser Gruppe entfremdet fühlen«.

Dafür werden zwei Gründe angegeben. Erstens: Unter Bezieherinnen und Beziehern geringer Einkommen würden ökonomische Sicherheit und Arbeitsplätze »in der Regel höher gewichtet als langfristige wie Klimastabilität«. Zweitens: Vor allem rechtsradikale Parteien »versuchen bereits, mit antiökologischen Standpunkte zu punkten« und »stellen in ihrem populistischen Narrativ Klimafragen als Anliegen der Eliten dar«. Die Schlussfolgerung der beiden Forscherinnen: Der Klimaprotest befinde sich »auf Abwegen«, wenn er nicht stärker die Ergebnisse der Transformations- und Akzeptanzforschung berücksichtige.

Boris Holzer schlägt ein in eine andere Richtung weisendes Forschungsergebnis zur Berücksichtigung vor: dass nämlich »viele soziale Bewegungen nicht nur trotz, sondern auch wegen einer ›radikalen Flanke‹ erfolgreich« sind. Eine aktuelle Studie hat in Befragungsexperimenten versucht zu ermitteln, wie sich radikale Protestformen und Zielsetzungen auf moderatere Ziele derselben Bewegungsbereiche auswirken. Probandinnen und Probanden wurden Porträts unterschiedlicher Protestformen vorgelegt, dabei wurde auch ein Beispiel aus dem Klimaschutz gewählt: die einen demonstrierten und führten Informationsveranstaltungen durch, die anderen machten mit Straßenblockaden oder noch weiter gehenden Aktionen auf sich aufmerksam.

Ergebnis der Studie: »Der positive Effekt einer radikalen Flanke ist über die Einschätzung der moderaten Fraktion vermittelt, die sich unter dem Eindruck des Vergleichs verändert: Die radikalen Aktionen lassen die Aktionen der anderen umso moderater erscheinen, was die Identifikation mit der moderaten Fraktion erleichtert und zu einer höheren Unterstützungsbereitschaft führt. Dies kommt aber auch der allgemeinen Zustimmung zu den Bewegungszielen zugute, die sich – anders als häufig angenommen – durch die Konfrontation mit radikalen Taktiken nicht verringert. Eine Arbeitsteilung zwischen radikaler Aufmerksamkeitsmaximierung und moderater Lösungsorientierung kann der Unterstützung einer sozialen Bewegung also durchaus zuträglich sein.«

Auch »moderate Lösungen« erfreuen sich bekanntlich keineswegs ungeteilter Beliebtheit. Das zeigen neue Auswertungen des »Sozialökologischen Panels«, einer sehr ausführlich angelegten Forschungsreihe, die über längere Zeiträume Aussagen zur Akzeptanz der Bevölkerung in Bezug auf die Energiewende ermittelt. Unlängst ist ein Werkstattbericht mit aktuellen Ergebnissen zu den »Präferenzen und Gerechtigkeitsvorstellungen zu energiepolitischen Maßnahmen« erschienen, dessen Ergebnisse Jasper von Altenbockum unter die Überschrift »Die Energiepolitik spaltet Deutschland sozial und regional« fasst. Die Daten zeigten »zwar eine hohe Zustimmung zu den Grundpfeilern der Energiewende«, aber ebenso »bemerkenswerte Unterschiede zwischen Ost und West und zwischen den Generationen« vor dem Hintergrund der durch Russlands Aggression gegen die Ukraine verschärften Energiekrise und der darauf reagierenden Umstellungen. Ebenso zeigen sich Differenzen zwischen Einkommensgruppen, Parteineigungen, Bildungsniveaus, Geschlechtern - die Studie bestätigt und ergänzt im Grunde seit langem abgesicherte Erkenntnisse.

Die den Auftrag zu der Forschung gebende Eon-Stiftung befindet: »Klimaschutz fehlt die soziale Nachhaltigkeit. Hier muss nachgesteuert werden, vor al­lem regionalpolitisch.« Man könnte das als Ermunterung zur Vorlage konkreter, an Maßstäben wie Gleichheit, Freiheit und Kooperation orientierter Umbaupläne ansehen, als Aufforderung, nicht nur über, sondern mehr mit denen zu sprechen, die Gründe für ihre Sorgen haben, auch wenn sie zu einem beträchtlichen Teil die Notwendigkeit von sehr weitgehender Transformation angesichts der biophysikalischen Existenzkrise ebenso sehen. Oder man schreibt Gastbeiträge in Magazinen und empört sich auf Twitter über jene, die sich für eben diese Anliegen auf die Straße setzen. Was über diesen Teil des Diskurses über die »Letzte Generation« zu sagen ist, hat Nils C. Kumkar ausführlich beschrieben und dabei auch die oft entnannte Interessensfrage angesprochen. Wem nützt es eigentlich, die Klimabewegung »fertigzumachen«?

Einige Menschen betrachten Politik nicht als ständigen Versuch, sich an demoskopische Stimmungslagen anzuschmiegen, sondern als ein geduldiges, überzeugendes Werben um Mehrheiten für die eigenen politische Zielsetzungen und Maßnahmen gerade auch dort, wo es mühsam ist, weil der Funken der Zustimmung nicht sogleich überspringen will.

Ansporn könnte hierzu übrigens wiederum in der Forschung gesucht werden: bei der Sozialpsychologie. Die kennt ein Phänomen mit dem schönen Namen »Pluralistische Ignoranz«: Menschen schätzen oft falsch ein, wie andere Menschen denken und handeln. Verena Kern hat unlängst neuere Ergebnisse aus der Forschung dazu mitgeteilt, in denen »Pluralistische Ignoranz« bei der Klimaschutz-Frage zutage tritt. In den USA schätzten Befragte in einer Untersuchung »die Unterstützung ihrer Landsleute für unterschiedliche Handlungen zum Klimaschutz auf lediglich 37 bis 43 Prozent« ein, tatsächlich lag die Unterstützung je nach Vorhaben bei 66 bis 86 Prozent. Eine ähnliche Untersuchung hierzulande zeigte eine ähnliche Unterschätzung der Bereitschaft anderer zum Klimaschutz. (tos)

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