Chinas Ambitionen

Pekings nationale Klimaziele für 2035 gehen nicht weit genug, das steht außer Frage. Die Kritik daran wird aber auch gern zur Aufhübschung der fossilistischen Ausbremserei hierzulande genutzt. Das freut Klaus und Inge und ihre Whatsapp-Gruppe.

Das werde wohl keine Schlagzeilen machen, glaubte Adam Tooze vor gut einem Jahr in seinem Ausblick auf die Bekanntgabe von Chinas nationalen Klimazielen für 2035. An Beachtung für die von Präsident Xi Jinping nun am Mittwoch vorgestellten NDC mangelte es freilich weniger. »China makes landmark pledge to cut its climate emissions«, meldete keineswegs nur die BBC: Die Treibhausgasemissionen sollen in den kommenden neun Jahren um sieben bis zehn Prozent gegenüber ihrem Höchststand sinken; die installierte Leistung der Wind- und Solarenergieerzeugung soll 3.600 Gigawatt erreichen; der Anteil nicht-fossiler Brennstoffe am Energieverbrauch bis 2035 auf über 30 Prozent steigen.

Was nun wirklich Schlagzeilen macht, sind indes die unterschiedlichen Bewertungen der vorgelegten Ziele. »Der 3.600-Gigawatt-Plan, mit dem China seine Klimaziele verschleiern will«, heißt es hier. »Chinas neue Klimaziele enttäuschen Erwartungen«, liest man hier. »Trump kassiert Seitenhieb – ausgerechnet von China«, wird das Ganze hier in einen Kontext gestellt; und hier noch in einen anderen: »EU verliert Führungsrolle in der Klimapolitik an Peking«. Nicht zuletzt wegen des Agierens der Bundesregierung konnten sich die Europäer bisher nur auf eine Absichtserklärung für einen Klimaplan für 2035 verständigen. 

Dass Chinas NDC zu gering sind, steht außer Frage – aber das gilt praktisch für fast alle nationalen Klimaziele und für deren Umsetzung noch mehr. Inzwischen sind sieben von neun kritischen Belastungsgrenzen des Erdsystems überschritten, oder in den Worten von Johan Rockström vom PIK: »Mehr als drei Viertel der lebenswichtigen Erdsystem-Funktionen befinden sich nicht mehr im sicheren Bereich.« Die Fachgesellschaften der Meteorologen und der Physiker in Deutschland haben sich dem Lager jener Expertinnen angeschlossen, die von einer deutlichen Beschleunigung der globalen Erwärmung ausgehen: Bereits 2050 könnten es 3 Grad über dem Niveau der vorindustriellen Zeit sein, bis Ende des Jahrhunderts 5 Grad. Und das im globalen Mittel, hierzulande wären die Werte deutlich höher. Die Forscherinnen plädieren sogar dafür, »den Rückzug aus tieferliegenden Küstenregionen an Nord- und Ostsee zu diskutieren«. Hier werden die Aussagen der beiden Fachgesellschaften kritisch von Expertinnen diskutiert. Und hier gibt es den Stand der Debatte dazu in einem hörenswerten »Wissenschaft im Brennpunkt«. Und auch wenn es unterschiedliche Auffassungen über die jüngsten »Klimarekorde« gibt, wird man die dort gestellte Frage »Ist Extrem das neue Normal?« im Grundsatz für beantwortet ansehen müssen.

Einer der nun viel zitierten Experten, Lauri Myllyvirta vom finnischen Zentrum für Energie und Saubere Luft (CREA) rechnet vor, dass Peking zur Einhaltung des Pariser Abkommens eine Emissionsreduzierung von mindestens 30 Prozent gegenüber dem Niveau von 2024 erreichen müsste. Auch die Unbestimmtheit des Spitzenniveaus, von dem aus die Minderungsziele berechnet werden sollen, ist ein Problem. Ebenso die erstaunlich geringen Ausbauziele bei den Erneuerbaren, nimmt man die jüngsten, viel höher liegenden Zubauraten als Maßstab. Was Myllyvirta allerdings auch schreibt (was aber offenbar nirgendwo aufgegriffen wurde): Seiner Ansicht nach handelt es sich bei den NDC »um eine Reihe von Zielen, die von einer konservativen Bürokratie ausgearbeitet wurden und die Xi dieses Mal nicht außer Kraft setzen wollte. Die Ziele spiegeln den Rückschlag durch die starken Anstiege der Emissionen und des Kohleverbrauchs während der Null-Covid-Pandemie deutlich stärker wider als die aktuellen positiven Trends. Die heutige Ankündigung sollte als Untergrenze und nicht als Obergrenze für Chinas Ambitionen verstanden werden.«

Gerade erst hatte Ember seinen »China Energy Transition Review 2025« vorgelegt: die Nutzung Erneuerbarer beschleunigt sich weiter, Peking ist der weltweit größte Investor in saubere Energie (2024: 625 Milliarden US-Dollar, das waren 31 Prozent der weltweiten Gesamtinvestitionen), das Volumen der installierten Batteriespeicher hat sich in den drei Jahren bis 2024 verdreifacht, die Netzinvestitionen wuchsen auf ein Allzeithoch… Das verändere auch »die Energieoptionen für den Rest der Welt rasant und schaffen die Voraussetzungen für einen Rückgang des weltweiten Verbrauchs fossiler Brennstoffe«, so die Fachleute bei Ember.

Und doch ist es zu wenig. Eine Tatsache freilich, die gern zur Aufhübschung der fossilistischen Ausbremserei hierzulande genutzt wird. Den Europäern müsse klar sein, schreibt die FAZ mit Blick auf die NDC: »All ihre Bemühungen sind angesichts dessen so bedeutsam wie der sprichwörtliche Sack Reis, der in China umfällt.« Das freut Klaus und Inge und ihre Whatsapp-Gruppe, in der man sich gegenseitig seinen Verdrängungswahn mit der Behauptung legitimiert, die BRD verursache nur 1,8 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Tausend Mal schon wurde dagegen aufgeklärt: Es gibt Klimaverträge, es gibt Pro-Kopf-Werte, es gibt eine globale Gerechtigkeitsdimension mit historischer Komponente… Anderswo in der FAZ wird Peking generös zugestanden, sich eine Klima-Führungsrolle zu »verdienen«, wenn es dem Land gelinge, »die Menschheitsaufgabe Klimaerwärmung wirksam zu bekämpfen«. (Heißt es nicht sonst immer, Pekinger Führungsrollen seien gefährlich?) Ein bisschen schlechtes Gewissen aufgrund der historisch akkumulierten deutschen Emissionen und damit der aufgelaufenen Verantwortung, scheint zwar auch in der Frankfurter Allgemeinen vorhanden. Aber das wird sogleich in einer Lüge ertränkt: China habe »anders als westliche Länder diese klimaschädliche Wirtschaft aufgebaut, als längst klar war, welche Folgen die Emissionen haben«. Das Problem an dem Satz ist das »anders als«: 1896 rechnete Svante Arrhenius erstmals vor, dass eine Verdoppelung des CO2-Gehalts der Atmosphäre zu einer Temperaturerhöhung um 4 bis 6 Grad führen würde. Ende der 1950er Jahre gelang der Nachweis, dass die CO2-Konzentration in der Atmosphäre tatsächlich ansteigt. Seit Ende der 1960er Jahre gibt es globale Klimamodelle, die das Ansteigen der Durchschnittstemperatur durch Emissionen berechnen können. Große fossile Konzerne (des so genannten Westens) wussten seit spätestens Anfang der 1970er, dass sie die Welt abbrennen – die 20 größten von ihnen sind für über ein Drittel aller Treibhausgasemissionen seit 1965 verantwortlich. 

Man könnte schreien angesichts der Dreistigkeit, mit der Hauptverursacher für die planetare Krise journalistisch aus der Verantwortung genommen werden. Ja, auch Peking hat sich lange Zeit seiner ökologischen Rechenschaft entzogen, wie auch Tooze schreibt. Und ja: »Historisch gesehen sind es vor allem die akkumulierten Emissionen Europas und Amerikas, die das ökologische Gleichgewicht stören. Die Zukunft dagegen entscheidet, vor allem, China.« Vor allem, wenn man bedenkt, dass in den zehn Jahren seit dem Pariser Abkommen von 2015 »China allein für 90 Prozent des Anstiegs der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich« gewesen ist. Tooze: »Es ist Chinas Geschichte, mehr als jede andere, die unseren gegenwärtigen Erwartungshorizont und den Umfang unserer gegenwärtigen Möglichkeiten definiert.« Insofern ist Kritik an den NDC für 2035 berechtigt, sollte dann aber auch nicht die Kontexte verschweigen: China will bis 2060 CO2-neutral sein, innerhalb von nur drei Jahrzehnten ab dem Höhepunkt der Emissionen 2030. »Die meisten europäischen Volkswirtschaften erreichten den Höhepunkt der CO2-Emissionen in den 1990er Jahren und streben die CO2-Neutralität bis 2050 an«, so das Merics-Institut

Und überhaupt wird man ja den Eindruck nicht los, dass die ach so enttäuschten Erwartungen hinsichtlich der NDC Chinas auch deshalb laut vorgetragen werden, damit man die ohrenbetäubenden Geräusche des klimapolitischen Rollbacks anderswo nicht mehr so genau hört. »Andere große Emittenten wie die USA und Russland sind entweder aus dem Klimaschutz gänzlich ausgestiegen oder begnügen sich, wie zum Beispiel gerade Europa, mit einer Placebo-Politik«, kommentiert Jörg Staude. In der SZ fürchtet man: »Wer China allein die Führung in der internationalen Klimapolitik überlässt, muss sich nicht wundern, wenn diese demnächst von vorne ausgebremst wird.« Bei Germanwatch ist man optimistischer: »Chinas Klimaziel-Logik folgt zentraler Planung: Konservative, aber verbindliche Leitziele senden innenpolitisch starke Signale und zeigen ernsthaften Willen.« Bei den Erneuerbaren habe Peking zudem »gezeigt, dass es gesetzte Ziele auch deutlich übertreffen kann – und der aktuelle Trend spricht stark dafür, dass das wieder passieren könnte.« (tos)

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